Zeitschrift merz | Einzelhefte

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Produktbeschreibung

Kitsch
Wenn meine Beobachtungen nicht täuschen, dann verschwindet der Begriff „Kitsch“ langsam aus unserem Sprachgebrauch. Alles und jedes, was dem ‘guten’ Geschmack zuwiderläuft, wird als „Trash“ bezeichnet und zu dem kann man sich auch als Durchblicker/ Durchblickerin bekennen, ohne an sozialem und intellektuellem Renommee zu verlieren. Trash wird zum Kennzeichen eines schicken Lebensgefühls, zumindest muss man zu dieser Auffassung kommen, wenn zum Beispiel die Shows um einen Stefan Raab gerade von jungen intelligenten Leuten ausführlich goutiert werden.
Fühlte sich früher ein Konsument von Kitsch bloßgestellt, wenn er mit einer solchen Wertung konfrontiert wurde, dann fordert Trash geradezu heraus, die Perlen der trivialen Medienindustrie zu kennen und augenzwinkernd wie ein Connaisseur im Small Talk Kenntnis davon zu geben. Das Füllhorn der Medienwelten fließt dermaßen über, dass es geradezu obskur ist, mit reflektierten Wertungen zu jonglieren. Und dafür sind die Plätze des gesellschaftlichen Lebens auch nicht initiiert worden. Verona Feldbusch macht es vor, wie und in welcher Fülle Nichtigkeiten formuliert werden müssen. Machen Sie sich nicht lächerlich, dies in einer Gesellschaft, deren Struktur Sie nicht kennen, als Kitsch zu bezeichnen. So agiert eben die erfolgreiche Welt. Über einem Problem grübeln entspricht nicht unserem modernen Lebensrhythmus, den auch die ‘Kiste’ vorgibt, die sich kein Zögern erlauben kann, ohne dass der Nutzer/ die Nutzerin ungeduldig wird. Und sie/ er spuckt aus, was gespeichert ist - für jedermann. Liberté, Égalité, Fraternité im Infozeitalter.
Das Destruieren des Sozialpakts z.B. mag auch dem Nicht-mehr-lesen-können von Informationen, die andere betreffen, geschuldet sein. Und das, obwohl wir die elaborierte Ausbildung fördern und beschwören. Immerhin haben wir schon 1,5 Millionen Millionarios im Lande - wenn man die Familienmitglieder dazu rechnet ein hübscher Prozentsatz.
Aber, was hat das alles mit „Kitsch“ zu tun? In einer zu ihrer Zeit berühmten Schrift des Germanisten Walther Killy, „Deutscher Kitsch“, habe ich folgenden Absatz gefunden: „So ist der Kitschkonsument eng mit einer kleinbürgerlichen Halbbildung verbunden, die heute auch den größten Teil der sogenannten ‘Gebildeten’ und die besitzenden Klassen ergriffen hat. Die Konsumenten wissen nicht, was sie konsumieren. Indem sie sich an Pseudosymbolen erbauen, glauben sie an der Erkenntnis teilzuhaben, welche die Kunst auf ihre Weise eröffnet; indem sie Reize genießen, glauben sie der Anschauung des Schönen teilhaftig zu sein; indem sie sich der Illusion hingeben, es werde ihnen Welt dargestellt, nehmen sie nicht wahr, daß sie lediglich eine sekundäre Imitation der primären Bildkraft der Künste vor sich haben“ (1962). Könnte das etwa heißen, dass die Welt sich doch wenig verändert, nur die Sichtwinkel andere werden und die schicken Trash-Anhänger kleinbürgerliche Kitschkonsumenten geblieben sind?
Erwin Schaar
 

Inhaltsverzeichnis

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> Barbara Eppensteiner: Österreichische Besonderheiten

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> Christina Oberst-Hundt: Rechtsextremismus und rechtsradikale Gewalt im Fernsehen
> Claudia Schmiderer: CD-ROM Medienpädagogik 2000
> Erwin Schaar: Was ein Mensch wert ist...
> Fernand Jung: Religionen: Infotainment und echte Information
> Fred Wimmer: Encarta Enzyklopädie Plus 2001 / Der Brockhaus multimedial 2001 premium / Data Becker - Das große Lexikon 2001
> Michael Bloech: Spannendes Erzählen hat auch seine Tücken
> Michael Gurt: Lexikon des internationalen Films 2001
> Reinhard Kleber: Auseinandersetzung um Entscheidungen

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> Gunnar Roters, Walter Klingler, Maria Gerhards (Hrsg.): Unterhaltung und Unterhaltungsrezeption
> Joachim-Felix Leonhard / Hans-Werner Ludwig / Dietrich Schwarze / Erich Straßner (Hrsg.): Medienwissenschaft
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> Ulrike Bergermann, Hartmut Winkler (Hrsg.): TV-Trash. The TV-Show I Love to Hate

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